Wieviel städtischer Wärminseleffekt steckt in der Erwärmung der letzten Jahrzehnte? Der Lösungsweg führt über Satelliten

Beim städtischen Wärmeinseleffekt (UHI) geht es um den Vergleich der Temperaturen in der wärmesteigernden Stadt gegenüber dem kühleren ländlichen Umland. Allerdings ist der Zusammenhang nicht ganz so trivial wie er zunächst erscheint. Betrachten wir hierzu die folgenden drei Aspekte:

Aspekt 1: Durch das allmähliche urbane Wachstum und den sich parallel hierzu steigernden UHI haben sich die großen Städte in den letzten 100 Jahren schneller erwärmt als das Umland.

Aspekt 2: Nun hat sich aber auch das Umland weiterentwickelt und ehemals vollkommen UHI-unbeeinflusste Gebiete besitzen nun bereits eine UHI-Komponente. In den großen Städten hingegen hat sich der maximale UHI-Effekt möglicherweise bereits vor 30 Jahren eingestellt, so dass das Umland jetzt aufholt und in den letzten Jahrzehnten vielleicht eine stärkere Erwärmung zeigt als die Kernzonen der Städte.

Aspekt 3: Falls sich der UHI nun im Umland als auch in den Städten im gleichen Maße steigert, hätten Umland und Städte eine ähnliche Erwärmungsrate. Eine großräumige Beeinflussung des Umlands durch den UHI wurde in einer 2013 in Nature Climate Change publizierten Studie für möglich gehalten.

 

Der Vergleich von Erwärmungsraten im Umland und der Stadt führt daher nicht richtig weiter in der Frage, ob sich ein UHI-Effekt in der globalen oder landesweiten Temperaturkurve versteckt. Wir wechseln daher die Methodik und konsultieren die Temperaturdaten aus Satellitenmessungen. Grundsätzlich müssen hier zwei verschiedene Datentypen unterschieden werden:

1) Satellitenmessungen der Temperaturen an der Landoberfläche (land-surface temperature, LST)
Hierbei handelt es sich um Infrarotmessungen der Erdoberfläche, aus denen die Temperaturen am Boden abgeleitet werden können. Ein oft verwendetes Satellitensystem ist Landsat. Städtische Wärmeinseln können auf diese Weise effektiv kartiert werden. Probleme gibt es mit senkrechten Flächen, wie zum Beispiel Gebäudewände, deren Temperatur nicht richtig erfasst werden kann, da das Verfahren vor allem horizontale Flächen misst.

2) Satellitenmessungen der unteren und mittleren Troposphäre (RSS, UAH)
Die beiden bekannten Temperaturdatenreihen UAH und RSS mit Messbeginn 1979 erfassen Temperaturen in verschiedenen Stockwerken der Troposphäre und unteren Stratosphäre. Bei UAH und RSS wird zum Beispiel unterschieden zwischen:

  • Untere Troposphäre – TLT (früher T2LT benannt).
  • Mittlere Troposphäre – TMT
  • Untere Stratosphäre – TLS

 

Dabei integrieren die verschiedenen Datengruppen über etliche Höhen-Kilometer (Abbildung 1).

Abbildung 1. RSS-Messbereiche und ihre Höhenangaben. Quelle: remss.com.

 

An dieser Stelle wird es jetzt interessant: Die unterste UAH/RSS-Messung in der Troposphäre besitzt ihr Maximum in einer Höhe von 3 km, wo UHI-Effekte im Prinzip ausgeschlossen werden können. Wir haben am 22. Februar 2015 extra noch einmal bei John Christy von der University of Alabama in Huntsville (UAH) nachgefragt. Christy hat zusammen mit Roy Spencer die satellitengestützte Temperaturmessung initiiert und zeichnet auch heute noch für den UAH-Datensatz verantwortlich. Christy antwortete prompt am selben (Sonn-) Tag:

Sebastian

The satellite data do not have UHI influences as you say because the emissions are dominated by the atmosphere and the footprint of urban areas is so tiny relative to the global surface. The problem for the surface measurements is that they are preferentially located where people live because, through history, people took the measurements.

John C.

Die UAH und RSS-Satellitentemperaturen sind also frei von jeglichem städtischem Wärmeinseleffekt. Und genau diesen Umstand wollen wir uns daher zunutze machen. Wir wollen die über Satelliten bestimmte Erwärmungsrate (UAH, RSS) mit der von Bodenstationen ermittelten Rate vergleichen. Der Test ist simpel und effektiv zugleich: Sollten die Bodenstationen für die letzten Jahrzehnte einen ähnlichen Erwärmungstrend herausbekommen wie die UHI-freien Satelliten, dann wäre auch der Gesamtdatensatz der Bodenstationen weitgehend UHI-frei.

 

Deutschland sucht den UHI: Top oder Flop?

Als Testgebiet wählen wir Deutschland. Die von uns verwendeten Bodenstationsdaten stammen vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Die entsprechenden Satellitendaten schneiden wir uns im Climate Explorer aus dem UAH/RSS-Datensatz heraus, wobei wir das Gebiet 47°-54°Nord / 7°-14°Ost betrachten.

Die Erwärmung in Deutschland zwischen 1979 und 2014 beträgt laut den DWD-Bodenstationen 0,40°C pro Jahrzehnt. Die Satelliten fanden 0,39°C (UAH) und 0,33°C (RSS) pro Jahrzehnt. Nehmen wir den Mittelwert der beiden Satelliten-Reihen geht es um mögliche 10% des Erwärmungstrends durch UHI. Wenn man sich jedoch die detaillierte Entwicklung der Erwärmungsraten anschaut, verliert der UHI weiter an Boden. Abbildung 2 zeigt die 10-jährigen laufenden Erwärmungstrends für die jeweiligen Daten von DWD, UAH und RSS. Der Unterschied ist praktisch marginal und sehr weit entfernt von Signifikanz.

 

Abbildung 2: 10-jährige laufende Erwärmungstrends für die jeweiligen Daten von DWD, UAH und RSS für das Gebiet Deutschlands. Aufgetragen ist der Erwärmungsebtrag pro Jahr.

 

 

Was fanden die Satelliten im Rest der Welt?

Eine sehr ähnliche Untersuchung hat Bob Tisdale für verschiedene Regionen der Welt angestellt und Satelliten- mit Bodenmessungen (UAH vs. GISS) verglichen (Teil 1, Teil 2). Überraschenderweise wichen die Erwärmungsraten der beiden Datensätze in Europa kaum voneinander ab (Abbildung 3). Während UAH eine Erwärmungsrate von 0,38°C pro Jahrzehnt aufweist, zeigt GISS eine nur minimal höhere Rate von 0,43°C pro Jahrzehnt. Eine größere UHI-Beeinflussung der Bodentemperaturen ist für Europa daher unwahrscheinlich.

Abbildung 3: Vergleich der Temperaturentwicklung gemäß Satelliten- und Bodenmessungen (UAH vs. GISS). Abbildungsquelle: Bob Tisdale.

 

Auch in den USA und Australien ergaben Satelliten und Bodenstationen ähnliche Erwärmungsraten, so dass auch hier mit keinem größeren UHI-Effekt zu rechnen ist. Größere Abweichungen ergaben sich in anderen Gebieten, darunter Afrika, Asien und Südamerika, wo GISS deutlich höhere Erwärmungsraten zeigte als die Satelliten. Es ist unklar, ob die Ursache im UHI zu suchen ist. Frank Lansner hat die Ergebnisse in einer Graphik zusammengefasst (Abbildung 4):

Abbildung 4: Zusammenfassung von Bob Tisdales Vergleich von Erwärmungsraten Satellit vs. Bodenstation. No/kein UHI bedeutet ähnliche Erwärmungsraten und unwahrscheinlicher UHI-Beitrag. Die rot mit UHI markierten Gebiete zeigen Unterschiede in den Satellit vs. Boden-Raten. Der Grund muss aber nicht unbedingt im UHI zu finden sein. Abbildungsquelle: Frank Lansner

 

Zwischenfazit

Der Vergleich mit UHI-freien Satellitenmessungen deutet an, dass es wohl kein größeres UHI-Problem mit den Temperaturdaten der Bodenstationen auf globaler oder regionaler Ebene gibt – zumindest für die letzten dreieinhalb Jahrzehnte.

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Unterschied zwischen UAH- und RSS-Satellitedaten

UAH verwendet ebenfalls den RSS-Datensatz, allerdings mit einem Unterschied, wie Roy Spencer in seinem Blog erklärt:

„Anyway, my UAH cohort and boss John Christy, who does the detailed matching between satellites, is pretty convinced that the RSS data is undergoing spurious cooling because RSS is still using the old NOAA-15 satellite which has a decaying orbit, to which they are then applying a diurnal cycle drift correction based upon a climate model, which does not quite match reality. We have not used NOAA-15 for trend information in years…we use the NASA Aqua AMSU, since that satellite carries extra fuel to maintain a precise orbit.“

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Alle Teile unserer UHI-Serie im Überblick:

Teil 1: Der Elefant im Raum: Ist der Städtische Wärmeinsel-Effekt vernachlässigbar?

Teil 2: Großer städtischer Wärmeinseleffekt – kleine Wirkung? Wir fragen beim Deutschen Wetterdienst nach

Teil 3: Wieviel städtischer Wärminseleffekt steckt in der Erwärmung der letzten Jahrzehnte? Der Lösungsweg führt über Satelliten

Teil 4: Städtischer Wärmeinseleffekt: Blick nach Europa

Teil 5: Städtischer Wärmeinseleffekt: Blick nach Amerika

Teil 6: Städtischer Wärmeinseleffekt: Blick nach Asien. Eine faustdicke Überraschung!

Teil 7: Städtischer Wärmeinseleffekt, letzter Teil: Blick nach Australien, Afrika und die Antarktis. Und ein Fazit


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