Städtischer Wärmeinseleffekt: Blick nach Europa

In den drei vorangegangenen Teilen unserer Artikelserie zum städtischen Wärmeinseleffekt haben wir einige grundsätzliche Überlegungen angestellt. In der heutigen Folge wollen wir nun UHI-Fallbeispiele aus Europa betrachten. Durch die enge Bebauung und hohe Bevölkerungsdichte bietet sich unser Heimatkontinent hierfür auf jeden Fall an. Dass es in Europa stark ausgeprägte städtische Wärmeinseln gibt, konnte man auch in einer Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) vom Oktober 2013 nachlesen. Zhou et al. machten dabei eine Reihe von interessanten Detailbeobachtungen, die die Komplexität des Themas unterstreichen, z.B. ein kühlender UHI (vermutlich tagsüber) in Städten in warmen Klimazonen. Im Folgenden die Pressemitteilung im Original (Fettsetzung ergänzt):

Städte zeigen charakteristische Hitze-Insel-Effekte
Städte heizen sich stärker auf als die sie umgebenden ländlichen Regionen – und wenn der Klimawandel fortschreitet, wird das zu einem Risiko für die Bewohner. Auf der Basis von Satellitendaten haben Forscher jetzt umfassender als jemals zuvor für tausende Städte in Europa diesen sogenannten Hitze-Insel-Effekt systematisch untersucht. Dieser ist sogar im Alltag spürbar: Fährt man an einem heißen Tag mit dem Rad aus dem grünen Umland in die Stadt, dann stellt man oft eine deutliche Temperaturänderung fest. Je größer eine Stadt ist, desto stärker auch der Effekt, so wurde bislang angenommen. Erstmals konnten Wissenschaftler jetzt zeigen, dass der urbane Hitze-Insel-Effekt mit der Stadtgröße zwar zunimmt – aber nur bis zu einem bestimmten Grenzwert. Die Analyse ergab, dass auch Großstädte im Mittel nur um etwa zwei bis drei Grad heißer werden als ihr Umland. Im Sommer sind in großen Städten Temperaturunterschiede von bis zu 4-6 Grad möglich. „Angesichts des Trends zur Verstädterung in vielen Teilen der Welt ist dies eine wichtige Erkenntnis – selbst bei noch größeren Megacities ist kein beliebig großer Hitzeinseleffekt zu erwarten“, erklärt Diego Rybski vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Allerdings streuen die Einzelmessungen der Städte um diesen typischen Wert. So sind im Sommer bei großen Städten sogar Temperaturunterschiede von bis zu 4-6 Grad keine Seltenheit. Im Winter verschwindet der Effekt dagegen nahezu.

Die Detailanalyse für einzelne Städte zeigt auch, dass Städte in warmen Klimazonen einen umgekehrten, also kühlenden, Effekt aufweisen können. Hier gilt es noch genau zu ermitteln warum dies der Fall ist. Dann lassen sich Planungsstrategien entwickeln, die diese Erkenntnisse ausnutzen können. „Der Hitze-Insel-Effekt wird vor allem relevant, wenn es ohnehin warm ist, wie zum Beispiel während eines anhaltend heißen Sommers“, erklärt Ko-Autor und Forschungsgruppenleiter Jürgen Kropp. Dann sind die Städte noch wärmer, was gesundheitliche Folgen insbesondere für ältere Menschen haben kann. Im Zuge des Klimawandels wird ein vermehrtes Eintreten von Hitzewellen befürchtet. „In Kombination mit der Alterung der Gesellschaft sind verstärkt gesundheitliche Probleme zu erwarten“, so Kropp. „Die Erkenntnisse über den urbanen Hitze-Insel-Effekt können also helfen, Maßnahmen zur Prävention zu ergreifen.“

Artikel: Zhou, B., Rybski, D., Kropp, J. (2013): On the statistics of urban heat island intensity. Geophysical Research Letters (Early View, online) DOI: 10.1002/2013GL057320

In der ganzen UHI-Diskussion geht es nicht so sehr darum, ob eine Stadt einen UHI-Effekt besitzt, sondern wie er sich im Laufe der Zeit entwickelt hat. In Städten die sich in den letzten Jahrzehnten stark ausgedehnt haben, beeinträchtigt der wachsende UHI das Klimasignal. In alteingesessenen Städten mit konstant hohem UHI spielt dies keine große Rolle und die gemessene Erwärmung entspricht der allgemeinen, globalen Klimaerwärmung. Frank Lansner fasst dies im Hide the Decline-Blog wie folgt zusammen:

UHI in climate data originates from changes of UHI over a period. So the general discussion is not if a city has UHI  – it has – but if UHI in a town has grown due to expansion of the city or other factors. A more permanent big-city UHI will not disturbe temperature readings. So when we speak of UHI in global temperature trends, then we refer to an average UHI increase around the temperature stations world wide.

Im vorangegangenen Teil unserer UHI-Serie konnten wir anhand der UAH/RSS-Satellitendaten zeigen, dass es in Europa während der vergangenen 35 Jahre wohl keine signifikante UHI-Beeinflussung der kontinentweiten Temperaturentwicklung gegeben hat. Zu einem ähnlichen Resultat kommt eine Studie von Chrysanthou und Kollegen, die im November 2014 in den Geophysical Research Letters erschien und die letzten 55 Jahre abdeckt. Im Folgenden die Kurzfassung:

The effects of urbanization on the rise of the European temperature since 1960
The effects of urbanization on the rise of the European daily mean temperature is quantified by comparing European-averaged temperatures based on all meteorological stations in the European Climate Assessment and Dataset with those based on three subsets of stations: from rural areas, from areas with low growth in urbanization, and from areas characterized by relatively low-temperature increase. Land cover information is obtained using the CORINE (Coordination of Information on the Environment) data set, showing that most stations (75%) have a small percentage (up to 10%) of urban area within a 10 km radius and 81% saw no more than 1% change in urbanization between 1990 and 2006. The results show that urbanization explains 0.0026°C/decade of the annual-averaged pan-European temperature trend of 0.179°C/decade. This trend has a strong seasonality, being the largest in summer. Averaged over time, the effects of urbanization on the European-averaged temperature has a strong seasonality as well.

 

Fokus Deutschland

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) führt grundsätzlich keine UHI-Korrekturen an seinem Temperaturdatensatz durch. Auf diese Weise geraten auch stark UHI-beeinflusste Wetterstationen aus den Innenbereichen der Großstädte in den Durchschnittswert. Der DWD sagt, dass dies statistisch aufgrund der geringen Fläche der städtischen Kerrnbereiche im Vergleich zur Gesamtfläche Deutschlands nichts ausmacht.

Trotzdem wäre es schön, wenn der DWD eine grobe Einstufung seiner zahlreichen Wetterstationen in Deutschland zur Verfügung stellen könnte. Im Stationslexikon auf der DWD-Webseite fehlt diese wichtige Information seltsamerweise. Als Hilfslösung könnte man nun die Einwohnerzahlen der jeweiligen Orte als UHI-Proxy verwenden wie Stefan Kämpfe vorschlägt:

Ansonsten bleibt nur, die Einwohnerzahlen oder Einwohnerdichten der an oder in unmittelbarer Stationsnähe gelegenen Ortschaften zu ermitteln. Tendenziell und sehr grob gilt: Je mehr Einwohnerzahlen und je höhere Einwohnerdichte, desto urbaner und desto „UHI-verseuchter“ die Station. Allerdings kann es in nicht wenigen Einzelfällen auch ohne Bevölkerungszunahme zu übersteigerten UHI-Effekten kommen, durch Versiegelungen und / oder steigendes Verkehrsaufkommen (diese 2 Faktoren vermute ich am Airport Frankfurt/Main), aber auch durch Rodungs- oder Aufforstungsmaßnahmen, Windparks, Solarparks, Entwässerungsmaßnahmen etc.

Gibt es diese Daten vielleicht irgendwo im stillen Kämmerlein des DWD? Im Zeitalter von Google Maps könnte man vielleicht im Rahmen eines Crowd-Sourcing-Projektes einen bebilderten Stationsatlas zusammenstellen, um den städtischen bzw. ländlichen Charakter einer Station semiquantitativ einzuordnen. Grobe Koordinaten gibt es im DWD-Stationsatlas.

Ein schönes Beispiel aus Berlin haben Raimund Leistenschneider, Josef Kowatsch und Stefan Kämpfe in einem EIKE-Beitrag vorgestellt. Abbildung 1 zeigt die Temperaturgänge von sechs Stationen in Berlin, die sich um bis zu anderthalb Grad voneinander unterscheiden. Wie nicht anders zu erwarten, sind die Innenstadtstationen heißer als die Randbereiche der Stadt. Überraschend hingegen sind die Flughafen-Stationen Tempelhof und Tegel. Diese zeigen eine signifikante Wärmeinsel – in ähnlicher Höhe wie die Innenstadtbereiche – obwohl der DWD die beiden Flughäfen offenbar eher als „ländlich“ führt.

Abbildung 1. Temperaturgang von sechs Berliner Wetterstationen im Zeitraum von 1970-1974. Beachte: Die braune Tempelhof-Kurve ist ab 1971 deckungsgleich mit Tegel, deshalb verschwindet der Graph im Diagramm. Quelle: Leistenschneider/Kowatsch/Kämpfe.

 

Ein zentraler Punkt in der Diskussion ist, dass sich der UHI-Effekt einer bestimmten Station im Zuge der Ausdehnung einer Stadt ändern – sprich erhöhen – kann. Stefan Kämpfe weist auf ein interessantes Beispiel ebenfalls aus dem Berliner Raum hin. Er schrieb uns:

Wie maßgeblich WI- Effekte im weitesten Sinne sein können und sich Temperaturdifferenzen ändern können, zeigen die folgenden Beispiele. Als erstes zwei Diagramme zweier exakt gleich hoch liegenden DWD-Stationen, nämlich Berlin- Alexanderplatz minus Neuruppin in den CLINO-Perioden 1951-80 und 1981-2010:

 

Abbildung 2: Monatsmittelwerte der Temperatur von zwei Stationen im Berliner Raum für das Zeitintervall 1951-1980. Der Alexanderplatz in der Innenstadt ist in allen zwölf Monaten deutlich wärmer als Neuruppin im ländlichen Brandenburg. Abbildung: Stefan Kämpe.

 

 

Abbildung 3: Monatsmittelwerte der Temperatur von zwei Stationen im Berliner Raum für das Zeitintervall 1981-2010. Der Temperaturabstand zwischen Alexanderplatz in der Innenstadt und Neuruppin im ländlichen Brandenburg hat sich deutlich reduziert. Ist Neuruppin in den weiteren Dunstkreis der Berliner Wärminsel geraten? Abbildung: Stefan Kämpe.

 

Das Geographiebuch Fundamente aus dem Klettverlag präsentiert ein eindrucksvolles Beispiel aus Leipzig. Die Universität liegt im Stadtzentrum, der Flughafen am Stadtrand:

Ein Forscherteam der Universität Hamburg um Sarah Wiesner untersuchte kürzlich die städtische Wärmeinsel in Hamburg. Die Arbeit erschien im September 2014 in der Meteorologischen Zeitschrift. Die Autoren fanden, dass das Hamburger Stadtzentrum im Jahresdurchschnitt etwa ein Grad wärmer ist als das Umland. Nachts beträgt die Differenz sogar anderthalb Grad. Im Folgenden die Kurzfassung der Arbeit:

Urban air temperature anomalies and their relation to soil moisture observed in the city of Hamburg
The spatial variability of the urban air temperature for the city of Hamburg is analyzed based upon a one-year dataset of meteorological and pedological measurements. As local air temperature anomalies are subject to land-use and surface cover, they are monitored by a network of measurement stations within three different urban structures. Mean annual temperature deviations are found to be + 1.0K for inner city sites and + 0.25K to – 0.2K for suburban sites compared to a rural reference. The nocturnal urban heat island (UHI) is identified and averages + 1.7K at the inner city stations, + 0.7K at a suburban district housing area and + 0.3K at a nearby green space. The observed UHI effect is most prominent when the wind speed is low (≤ 2ms-1) and the sky is only partly cloudy (≤ 6∕8th). In spring 2011 an average inner city UHI of up to + 5.2K is observed during situations matching these conditions, while the extraordinary dry fall of 2011 lead to remarkably high air temperature differences at all observed stations. As expected, no evidence for a significant impact of topsoil moisture on nighttime UHI effect is found. The analysis of air temperature anomalies during daytime results in an annual mean deviation of – 0.5K above unsealed, vegetated surfaces from a sealed site during days with a turbulent mixing induced by wind speed > 2ms-1.

Der städtische Wärmeinseleffekt existiert. Satellitendaten deuten an, dass er sich in den letzten vier Jahrzehnten jedoch kaum verändert hat. Irgendwann in der Vergangenheit jedoch muss sich der UHI aufgebaut haben. Vieles deutet darauf hin, dass der größte UHI-Schub wohl zu Beginn der Industrialisierung passiert sein könnte. Josef Kowatsch teilt diesen Verdacht:

Ich stelle mir immer wieder die Frage: Wie hoch wäre die Deutschlandtemperatur im Rekordjahr 2014, wenn sich Deutschland in den letzten 150 Jahren überhaupt nichts verändert hätte, genauso viele Einwohner, genau die gleichen Orte, genau die gleiche Urbanisierung. Um jede Stadt herum waren Fischweiher und Teiche zur Eiweißversorgung der Bevölkerung. Und die gleiche minimale Heizung, in einem Raum von November bis April. Die ländlichen Messstationen waren bei unbeheizten Klöstern, bei Forsthäusern am Waldrand oder bei diesen Fischteichen. Alle diese ländlichen Stationen gibt es nicht mehr. Diese Stationen stehen unter gleichem Namen bei Flughäfen oder bei den Einkaufszentren am Stadtrand in Abgasstrom der warmen Parkplätze oder bei Kläranlagen mit ihren warmen Faultürmen.

Verlassen wir nun Deutschland und schauen uns im Rest Europas um. Zunächst geht es „mit Theo“ nach Lodz. Im Jahr 1999 publizierten Kazimierz Kłysik und Krzysztof Fortuniak im Fachblatt Atmospheric Environment eine UHI-Studie zu dieser Stadt. Die Forscher fanden, dass die Innenstadt während 80% aller Nächte einen Wärmeüberschuss von 2-4°C gegenüber ihrem Umland aufweisen. Hier die Kurzfassung:

Temporal and spatial characteristics of the urban heat island of Łódź, Poland
The investigations which have been conducted out for many years permit the statement that in the climate of Poland the occurrence of the UHI is the most important feature of urbanized areas. Over 80% of nights are characterized by surplus heat in towns, amounting to 2–4°C, and sporadically to 8°C and more. A distinct annual course of the UHI intensity is observed; the greatest differences occur during summer nights when skies are clear. In winter, favorable conditions for the existence of the UHI occur less frequently, and the intensity of the UHI is smaller. In the daytime the city is very often colder than its surroundings. Two types of spatial structure of the heat island have been observed: multi-cellular type, occurring on windless conditions (0–1 m/s), and a more simple general type with the 2–4 m/s wind. The distribution of temperature on the night of February 2/3 and 5/6 1996 is presented; the UHI reached an extremely high intensity then (up to 12°C).

Im Jahr 2010 erschien von Fabrizi et al. im Fachblatt Remote Sensing eine Studie zu Rom. In der Nacht fanden die Forscher einen Wärmeüberschuss von 3-4°C, während am Tag die Innenstadt sogar kälter als das Umland sein konnte. Hier die Kurzfassung:

Satellite and Ground-Based Sensors for the Urban Heat Island Analysis in the City of Rome
In this work, the trend of the Urban Heat Island (UHI) of Rome is analyzed by both ground-based weather stations and a satellite-based infrared sensor. First, we have developed a suitable algorithm employing satellite brightness temperatures for the estimation of the air temperature belonging to the layer of air closest to the surface. UHI spatial characteristics have been assessed using air temperatures measured by both weather stations and brightness temperature maps from the Advanced Along Track Scanning Radiometer (AATSR) on board ENVISAT polar-orbiting satellite. In total, 634 daytime and nighttime scenes taken between 2003 and 2006 have been processed. Analysis of the Canopy Layer Heat Island (CLHI) during summer months reveals a mean growth in magnitude of 3–4 K during nighttime and a negative or almost zero CLHI intensity during daytime, confirmed by the weather stations.

Abschließen möchten wir unsere Europatour in Barcelona. Bereits im Jahr 1994 erschien hierzu im International Journal of Climatology eine Analyse von Carmen Moreno-Garcia, die eine Wärmeinsel von bis zu 8°C fand. Hier die Kurzfassung:

Intensity and form of the urban heat island in Barcelona
A statistical analysis of the differences between the daily minima in the centre of Barcelona and those of the airport, supplemented by temperature readings taken along a number of transects through the urban area, have revealed the intensity of the heat island effect, which reaches a maximum intensity of 8°C. It was also possible to plot the spatial configuration of the latter.

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Alle Teile unserer UHI-Serie im Überblick:

Teil 1: Der Elefant im Raum: Ist der Städtische Wärmeinsel-Effekt vernachlässigbar?

Teil 2: Großer städtischer Wärmeinseleffekt – kleine Wirkung? Wir fragen beim Deutschen Wetterdienst nach

Teil 3: Wieviel städtischer Wärminseleffekt steckt in der Erwärmung der letzten Jahrzehnte? Der Lösungsweg führt über Satelliten

Teil 4: Städtischer Wärmeinseleffekt: Blick nach Europa

Teil 5: Städtischer Wärmeinseleffekt: Blick nach Amerika

Teil 6: Städtischer Wärmeinseleffekt: Blick nach Asien. Eine faustdicke Überraschung!

Teil 7: Städtischer Wärmeinseleffekt, letzter Teil: Blick nach Australien, Afrika und die Antarktis. Und ein Fazit

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