Noch nie wurde eine sprachliche Nachschulung so dringend benötigt wie heute: Journalistische Panne bei der Berichterstattung zum arktischen Meereis

Noch nie wäre das arktische Meereis so sehr geschrumpft wie in diesem Jahr, tönt es uns aus vielerlei Medien entgegen (z.B. Die Zeit, BZ, Stern, Klimaretter). Müssen wir uns jetzt also doch richtig große Sorgen machen? Hat es sich die reichlich verspätete Klimakatastrophe nun vielleicht doch anders überlegt und schlägt jetzt mit voller Wucht zu?

Ein schönes Verwirrspiel, das sich hier einige Journalisten erlauben. Wer sich in der Materie ein wenig auskennt, lehnt sich genüsslich zurück und fragt sich, wann die Leute es wohl endlich merken, was da für ein seltsames Spiel mit ihnen getrieben wird. Das Wort „nie“ hat in der deutschen Sprache nämlich eine ganz besondere Bedeutung. Wenn man „nie“ verwendet, dann meint man in der Regel, dass etwas noch niemals, kein einziges Mal aufgetreten ist. Das Wort passt zum Beispiel, wenn man sagen möchte, dass man noch „nie“ in Afrika gewesen ist. Wenn man hingegen vor zweieinhalb Jahren gerade in Afrika war, dann macht es keinen Sinn zu sagen: „Ich bin noch nie in Afrika gewesen – in den letzten zwei Jahren.“ Das ist ziemlich eindeutig und wird jedem sofort einleuchten.

Wenn es nun jedoch um das Thema Klimakatastrophe geht, dann scheinen sich die sprachlichen Gepflogenheiten schlagartig in Luft aufzulösen. Plötzlich kann man ganz verrückte Dinge sagen, ohne dass die Regeln noch gelten würden. Worum geht es konkret? Das arktische Meereis ist zwar diesen Sommer ziemlich stark zurückgegangen, jedoch gab es vor etwa tausend Jahren zur Zeit der mittelalterlichen Wärmeperiode ebenfalls eine Zeit, während der das Nordpolarmeer mindestens genauso eisarm war wie heute. Damals kurvten die Wikinger mit ihren Booten munter durch den arktischen Ozean, da es kaum Eis gab, das sie aufgehalten hätte. Vermutlich gab es damals noch deutlich weniger Meereis in der Arktis als heute.

Mit dem „noch nie so stark geschrumpft wie in diesem Jahr“ ist es also nicht weit her. Man muss sogar davon ausgehen, dass sich ähnlich eisarme Wärmeperioden in den letzten zehn Jahrtausenden etwa alle 1000-2000 Jahre wiederholt haben. Während des sogenannten holozänen Klimaoptimums 8000-4000 v. Chr. war es sogar längerfristig um etwa ein Grad wärmer als heute, so dass sich auch das arktische Meereis viel weiter zurückzog als heute.

Nein, das Wort „nie“ passt hier überhaupt nicht. Woran etliche Journalisten scheitern, ist der kleine Zusatz „seit Beginn der Satellitenmessungen“. Und Satelliten die das Eis vermessen gibt es erst seit etwa 40 Jahren. Das ist natürlich viel zu kurz, um die natürliche Milenniumszyklik des Eisschrumpfens- und Wiederanwachsens abzubilden. Aber das scheint keine Rolle zu spielen, denn Superlative verkaufen sich halt viel besser als eine Schlagzeile wie „arktisches Meereis immer noch doppelt so groß wie vor 7000 Jahren“.

Lernen wir also von den Klimaberichterstattern und wenden das neu dazugewonnene Wissen praktisch an. Wenn Sie mal wieder so richtig Durst auf ein zweites Bier am Abend haben und Ihr Partner vermutet, dass sie doch schon gerade eines getrunken hätten, sagen Sie einfach: Ich habe noch nie Bier getrunken – in den letzten 5 Minuten. Den zweiten Halbsatz sagen Sie natürlich nur ganz leise, etwa so laut wie die Klimaredakteure den Hinweis auf die Satellitenära. Prost!

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