Interview mit Hartmut Graßl im Deutschlandradio Kultur: Vom Alpen-Hüterbub zum Mitbegründer des IPCC

Das Deutschlandradio Kultur brachte am 2. Juli 2015 ein längeres Interview mit dem Klimaforscher Hartmut Graßl, seines Zeichens Gründungsmitglied des IPCC:

Klimaforscher Hartmut Grassl: Wie verändert der Klimawandel „Ihre“ Alpen?
Die bayerischen Berge kennt er wie die eigene Hosentasche. Hartmut Graßl hat dort als Kind Kühe gehütet. Heute muss er erleben wie das Eis schmilzt, die Baumgrenze sich verschiebt, die Artenvielfalt schwindet. Der „dienstälteste Klimafoscher Deutschlands“ beobachtet seit vielen Jahrzehnten, wie die Natur sich durch den Klimawandel verändert. Doch noch gibt er den Kampf gegen die Erderwärmung und für einen unumkehrbaren Wandel in der Energiepolitik nicht verloren. Er ist zuversichtlich, dass wir irgendwann in diesem Jahrhundert ausschließlich mit erneuerbaren Energien versorgt werden.

Ganzes Interview auf Deutschlandradio Kultur hören.

Graßl ist einer der dienstältesten Klimaforscher Deutschlands und einer der Pioniere der Klimaalarm-Bewegung. Dabei stellte er 1990 in seinem Buch “Wir Klimamacher” eine interessante Temperaturprognose auf. Auf Seite 61 schrieb er damals zusammen mit seinem Co-Autor Reiner Klingholz:

“Schon in den nächsten 30 Jahren wird sich die Erde mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein bis zwei Grad erwärmen.”

Nun sind die 30 Jahre bald um und wir erlauben uns nachzuschauen, ob sich die Natur an die Prognose gehalten hat. Das Ergebnis ist ernüchternd: Zwar ist die globale Durchschnittstemperatur von 1977 bis 2000 um 0,5°C angestiegen, wovon sich etwa die Hälfte davon, also 0,25°C, zwischen 1990-2000 ereignete. Danach begann jedoch der bekannte Erwärmungsstop, der bis heute andauert. Um auch nur die Untergrenze von Graßl’s Prognose zu erreichen, müsste die Temperatur in den kommenden 5 Jahren also um 0,75°C ansteigen; um die Obergrenze zu erreichen, sogar um 1,75°C (siehe unseren Beitrag „Graßl’s Erwärmungsprognose von 1990 droht dramatisch zu scheitern„). Schnell wird klar, dass dies vollkommen unmöglich ist. Graß lag mit seiner Prognose meilenweit daneben. Davon hören wir im Radiointerview allerdings nichts.

Stattdessen redet Graßl lieber über die Alpengletscher. Sie schmelzen, ein Skandal. Was er verschweigt: Schmelzphasen hat es in den Alpen in den letzten Jahrtausenden mehrfach gegeben. Siehe:

Graßl beklagt im Interview, dass es im Winter kaum noch Schnee gäbe, man mühsam und unsinnig mit Schneekanonen nachhelfen müsse. Seltsam. Die Realität sieht weniger prekär aus:

Natürlich verliert Graßl auch kein Wort über die Mittelalterliche Wärmeperiode oder das mittelholozäne Klimaoptimum vor 6000 Jahren, als es global 1-2°C wärmer war als heute. Lieber setzt Graßl die heutigen Temperaturen mit der letzten Eiszeit ins Verhältnis.

An einer Stelle des Interviews trauert er bereits über den bevorstehenden Untergang der Pazifikinseln. Aber hat man den Mann überhaupt über die neuesten Forschungsergebnisse informiert?

Die Interviewerin Ulrike Timm vom Deutschlandradio Kultur führt das Interview souverän, gibt jedoch viel zu oft die artige Studentin. Meist beschänkt sie sich auf harmlose Fragen, hakt erst im letzten Teil des Gesprächs einige Male etwas tiefer nach. So spricht sie Graßl auf den Titel „Klimakassandra“ an. Würde er nicht hier und da etwas überziehen, um Aufmerksamkeit aus der Politik zu erheischen? Ja, sagt er, das würden aber alle Seiten tun. Daher ist es ok. Timm erwähnt kurz die IPCC-Berichts-Panne zu den Himalaya-Gletschern. Graßl tut dies schnell als unglücklichen Zahlrendreher ab. Kleinkram. Der IPCC arbeite einwandfrei, man solle über solche Lappalien hinwegsehen.

Die Stärke des Interviews ist der Einblick in den Menschen Graßl, seine Vita. Begonnen hatte der Oberbayer als Hüterbub in den Alpen. Der Vater hatte keinen eigenen Hof, so musste der Sohn im Sommer auf die Alm. Dort entwickelt Graßl eine starke ökologische Ader, erklärt er. Er war nur ein mittelmäßiger Schüler, machte erst ein Meteorologie-Vordiplom, kam mit der Göttinger 18-Gruppe in Kontakt, die sich gegen Atomwaffen in der Bundesrepublik einsetzte. Damals begann vermutlich Graßls Verquickung von Politik und Wissenschaft, eines der großen Probleme der Klimawissenschaften. Ergebnisoffene Forschung wird damit stark erschwert, andere wissenschaftliche Meinungen ausgebremst. Im Interview erfährt man zudem, dass es einiger Extrawürste bedurfte, um Graßl das nachfolgende Physikstudium zu ermöglichen. Die Nähe zur Göttinger 18 half ihm hier sehr. So wurde ihm eine Prüfung erlassen, ohne die es sonst keinen Weg in die Physik gegeben hätte.

Ulrike Timm provoziert Graßl, dass die Serie der jährlichen UNO-Klimakonferenzen nur magere Resultate einbringe und die Flugreisen der vielen Delegierten reichlich CO2 produzierten, das man doch besser einsparen könnte. Graßl ist absolut nicht amused, wird etwas fuchsig. Er erklärt, dass man doch bitte lieber Championsleague-Fußballspiele opfern solle, die ebenfalls viel CO2 produzieren würden. Welche der vielen Konferenzen wären denn nun wirklich erfolgreich und notwendig gewesen, fragt Timm. Graßl nennt die Berliner Klimakonferenz von 1995. Damals war Angela Merkel Umweltministerin und verhandelt für die deutsche Seite im in Vorbereitung auf das Kyoto-Protokoll.

Timm ist nicht so recht zufrieden, beklagt, dass die Erde trotz der vielen Klimagipfel trotzdem immer wärmer und wärmer würde. Tja, so richtig tief steckt Frau Timm dann doch nicht in der Materie. Ansonsten hätte sie gewusst, dass sich die Erde seit 1998 überhaupt nicht mehr erwärmt hat und sich die Temperaturen stattdessen auf einem langjährigen Temperaturplateau bewegen (siehe: „Max Planck Gesellschaft: “Die Temperaturen stagnieren ungefähr seit 1998, wenn auch auf hohem Niveau”„. Vielleicht dank der vielen Klimagipfel?

 

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