Hessischer Starkregen aus dem Juli 2014 eine Folge des Klimawandels? Eher unwahrscheinlich. Statistiken zeigen eine Abnahme schwerer sommerlicher Regengüsse während der letzten 100 Jahre

Endlich mal wieder schlechtes Wetter, darauf hatte man beim Potsdaminstitut für Klimafolgenforschung (PIK) schon gehofft: Ein Gewitter in Hessen musste jetzt als Kronzeuge für den Klimawandel herhalten. Die Welt bot dem PIK am 16. Juli 2014 die entsprechende Bühne:

Gewitterserie über Mittelhessen könnte Folge des Klimawandels sein
Die tagelangen Gewitter mit schweren Regenfällen in Mittelhessen könnten Folgen des Klimawandels sein. Klimaforscher sehen deutliche Hinweise dafür. «Das passt ins Bild», sagt Peter Hoffmann vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Allerdings sei die Datenbasis noch zu gering, um solche Einzelereignisse eindeutig direkt dem Klimawandel zuzuordnen.

Eine schöne Formulierung, an der hatte die PIK-Mannschaft sicher lange gefeilt: „Das passt ins Bild“. Aber eigentlich weiss man gar nichts. Der PIK-Mann räumt selber ein, dass in der historischen Entwicklung von Gewittern kein ungewöhnliches Muster zu erkennen ist. Wieso dann dieser Artikel? Nach der selben Masche könnte man dann auch andere Meldungen texten:

Mond könnte aus Käse sein
Forscher wiesen jetzt darauf hin, dass der Mond an manchen Nächten so gelblich wie ein Käse erscheint. Sie schließen daher nicht aus, dass unser Erdtrabant aus Leerdammer besteht. „Das würde ins Bild passen“ sagt zum Beispiel auch der Freiburger Käsologe Karsten Lochmeister. Allerdings ist die Datenbasis noch zu gering, um die Zusammensetzung abschließend klären zu können.

Ähnlich hilflos argumentierte auch die Tagesschau am 17. August 2014:

Starkregen und Klimawandel: Ist der Klimawandel schuld an den heftigen Gewittern der vergangenen Tage?
Diese Frage steht im Raum, denn dieser Sommer scheint bisher von Gewittern mit heftigem Platzregen geprägt zu sein. So fielen beispielsweise in Rotenburg (Wümme) am Sonntag binnen weniger Stunden 71 Liter pro Quadratmeter. Vielerorts regnete es zuletzt innerhalb von 24 Stunden annähernd so viel, wie sonst im ganzen Juli. Jedoch sollte man mit voreiligen Schlussfolgerungen vorsichtig sein, denn der Klimawandel lässt sich nicht an einzelnen Witterungsabschnitten fest machen. […] Somit ist es durchaus plausibel, dass es in Deutschland im Zuge der globalen Erwärmung vermehrt zu heftigen Gewittern kommen kann. Eine systematische Diagnose der vergangenen Jahrzehnte könnte hier mehr Klarheit schaffen. Den Klimawandel als Erklärung für einzelne Wetterphänomene heranzuziehen ist jedoch unangebracht.

Man müsste mal die Trends der letzten Jahre und Jahrzehnte untersuchen, heißt es. Ist die Datenbasis wirklich so mager? Der Deutsche Wetterdienst erläuterte Mitte Juli 2014 die Probleme auf seiner Webseite und fordert die PIK-Forscher dabei indirekt auf, dramatisierende Schilderungen in der Öffentlichkeit bis zur wissenschaftlichen Klärung zu unterlassen:

Kurze klimatologische Einschätzung der Starkniederschläge in Deutschland zwischen dem 08.07. und 13.07.2014
In der Zeit vom 08.07. bis 13.07.2014 wurde das Wetter in Deutschland von Tief Michaela beeinflusst, welches in einigen Regionen lokal zu ausgesprochen starken Niederschlägen mit teilweise erheblichen Schäden führte. So kam es im Bereich dieses Tiefs ab Mitte der letzten Woche insbesondere im Süden und in der Mitte Deutschlands zu länger anhaltenden und zum Teil recht ergiebigen Niederschlägen, während sich in Norddeutschland kräftige Gewitter entwickelten, die mit kurzzeitigen Starkniederschlägen einhergingen. Im Verlaufe der Woche schob sich die feucht-labile Warmluft aus nordöstlicher Richtung dann immer weiter nach Süden und Westen vor, so dass es auch in diesen Gebieten Deutschlands zu heftigen, mit kurzzeitigen Starkniederschlägen verbundenen Gewittern kam. Insbesondere diese nur kurz auftretenden Starkniederschlagsereignisse führten zu den gemeldeten erheblichen Schäden. Diese Starkniederschläge, insbesondere verbunden mit konvektiven Ereignissen, sind durchaus typisch für die Sommermonate bei uns in Mitteleuropa. Dabei kann es in vielen Jahren lokal auch zu hundertjährigen Ereignissen kommen, wie in der letzten Woche beobachtet. In Zusammenhang mit dem Auftreten von meteorologischen Extremereignissen wird in den letzten Jahren vermehrt die Frage nach dem Einfluss des Klimawandels gestellt. Der statistische Nachweis einer möglichen Intensivierung oder Häufigkeitsveränderung von solchen Starkniederschlägen ist grundsätzlich aber schwierig. Bei Extremereignissen mit ihren hohen Wiederkehrzeiten wird für eine statistisch abgesicherte Einschätzung von räumlich-zeitlichen Änderungen ein erheblicher Datenbestand über einen hinreichend langen Zeitraum hinweg benötigt. Untersuchungen zu möglichen Trends bei den Extremereignissen sind dementsprechend noch Gegenstand der aktuellen Forschung.

Eine entsprechende Untersuchung zu Starkregentrends in Sachsen-Anhalt wurde 2007 im Rahmen einer Doktorarbeit von Ilka Fabig angestellt. Der Titel der Studie lautete:

Die Niederschlags- und Starkregenentwicklung der letzten 100 Jahre im Mitteldeutschen Trockengebiet als Indikatoren möglicher Klimaänderungen

Ein klares Ergebnis sucht man jedoch vergeblich und ein einheitlicher Trend in der Starkregenhäufigkeit existiert nicht. Auch enthält die Arbeit keine einfachen Trend-Charts, vielleicht weil der fehlende allgemeine Anstieg in der Starkregenentwicklung dann zu offensichtlich gewesen wäre. Schön versteckt auf Seite 98 der Doktorarbeit kann man das Ergebnis nachlesen:

Der überraschende Befund: Der sommerliche Starkregen hat in den letzten 100 Jahren in Mitteldeutschland offenbar abgenommen. Das genaue Gegenteil von dem, was uns das PIK in seiner Bewertung des kürzlichen hessischen Gewitterregens einreden will. In Tabelle 6.5 (siehe unten) der Doktorarbeit von Ilka Fabig kann man es schön nocheinmal erkennen: Drei bis zwei Minuszeichen mit rotem Hintergrund, das bedeutet „Abnahme“ bzw. „mehrheitliche Abnahme“, wie man der dazugehörigen Legende entnehmen kann. Das gilt sowohl für Halbjahres- („hj“) als auch Quartalsbetrachtungen („qu“).

Abbildung: Trends in der Starkregenentwicklung im Mitteldeutschen Trockengebiet (Sachsen-Anhalt). Blau: Zunahme, rot: Abnahme. Quelle: Fabig 2007.

Abbildung: Legende zur obigen Abbildung. Quelle: Fabig 2007.

 

In Nordrhein-Westfalen hatte man sich in einer Studie nur die letzten 60 Jahre angeschaut. In der 2009 vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW herausgegebenen Zusammenfassung heißt es:

Die Anzahl der Tage mit hohen Niederschlägen von mehr als 10, 20 bzw. 30 mm, ist in den letzten 59 Jahren angestiegen, was insbesondere auf Niederschläge in den Winterhalbjahren zurückzuführen ist. Von 1950 bis 2008 hat die Anzahl der Ereignisse in den Starkregenserien mit kurzer Dauer in Nordrhein-Westfalen zugenommen. Bei den gemessenen Intensitäten der Starkregen ist ein Anstieg nicht erkennbar.

Ein leichter Anstieg im Starkregen, aber nicht im Sommer, sondern im Winter. Da passt der hessische Gewitterregen aus dem Juli 2014 auf jeden Fall NICHT ins Bild. Und die Intensität des Starkregens hat sich in NRW in den letzten 60 Jahren auch nicht weiter gesteigert. Vielleicht würde man bei einer Ausdehnung der Studie auf die letzten 100 Jahre ebenfalls zu ganz anderen Ergebnissen kommen.

In der NRW-Studie warnen die Forscher ausdrücklich vor einer Betrachtung von zu kurzen Zeitreihen:

Ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung ist, dass ein 30-Jahreszeitraum lediglich eben für diesen Zeitraum repräsentativ ist und eine Extrapolation von Trends oder deren Übertragung auf andere Zeiträume unzulässig ist.

Noch vor zehn Jahren tappte man beim Deutschen Wetterdienst genau in diese Falle. In einer Scinexx-Meldung vom 28. Mai 2004 warnte der DWD vor einem „besorgniserregenden Trend“ – allerdings basierend auf Daten aus nur vier Jahrzehnten:

Starkniederschläge prasseln immer intensiver und in immer kürzeren Abständen auf die Einzugsgebiete der Ströme hernieder. Die riesigen Wassermengen können in der Kürze der Zeit nicht versickern und bringen die Flüsse zum Überlaufen. Als Grund hierfür wird immer wieder die globale Klimaerwärmung angeführt – zu Recht, wie Forscher nun unlängst herausfanden. Denn eine Langzeitstudie des Deutschen Wetterdienstes zeigt für Deutschland einen besorgniserregenden Trend: Sowohl die Anzahl der Tage mit starken Niederschlägen als auch die Niederschlagsintensität hat innerhalb der letzten vierzig Jahre stark zugenommen. Besonders im Winterhalbjahr konzentriert sich immer mehr Regen auf immer weniger Tage. Bei diesem so genannten Starkregen prasseln mindestens 25 mm Niederschlag pro Stunde auf den Boden. Im Bundesdurchschnitt haben diese Ereignisse in den letzten Jahrzehnten um 20 Prozent und in Teilen Süddeutschlands sogar bis zu 50 Prozent zugenommen. Und ein Ende des Trends scheint nicht absehbar.

Heute kommt einem angesichts dieser offensichtlichen Dramatisierungen das Grausen. Ein grober Methodikfehler. Der ebenfalls im Beitrag auftretende PIK-Forscher Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe ist übrigens kürzlich in Rente geschickt worden. Ironischerweise erklärte Gerstengarbe anlässlich seiner Verabschiedung, dass er „in Veröffentlichungen noch nie danebengelegen” habe.

 

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