Buchrezension „Klimawandel in Deutschland“: Vor der Kleinen Eiszeit bleibt es zappenduster

Am 5. Oktober 2016 machte der Springer-Verlag allen Lesern ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. An jenem Tag erschien das kostenlos als pdf herunterladbare 346-seitige Buch „Klimawandel in Deutschland„. Herausgegeben wurde es von Guy Brasseur, Daniela Jacob und Susanne Schuck-Zöller, allesamt vom Climate Service Center Germany (GERICS), einer Einrichtung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht. Guy Brasseur ist zwischenzeitlich in Pension. Vermutlich hat das GERICS den Springer-Verlag mit Steuergeldern dafür bezahlt, dieses Buch zu verlegen und dann kostenlos über die Verlagsplattform zu vertreiben. Wer das Buch lieber als Papierbuch liest, der kann sich den Wunsch für €53,49 erfüllen.

In einer Pressemitteilung vom 3. November 2016 beschreibt das GERICS das Buch wie folgt:

Neu erschienen ist das wissenschaftliche Kompendium „Klimawandel in Deutschland: Entwicklung, Folgen, Risiken und Perspektiven“, das erstmalig umfassend und fächerübergreifend alle vorliegenden Informationen zusammenfasst und aufbereitet. Neben Inhalten des fünften IPCC-Sachstandsberichts flossen weitere wissenschaftliche Arbeiten und Fallstudien ein. Entstanden ist ein „Assessment“, das beansprucht, die Forschungslage darzustellen und die unterschiedlichen Positionen einzuordnen. Eines der Ergebnisse: Selbst eine globale Erwärmung von nur 1,5 – 2°C wird auch in Deutschland zu Veränderungen in allen Naturräumen, Wirtschaftssektoren und sämtlichen Lebensbereichen führen.

Durch die steigende Anzahl von warmen Tagen und Hitzewellen sowie die Zunahme der bodennahen Ozon- und Feinstaubkonzentrationen werden in Zukunft vor allem chronisch Kranke, alte Menschen und Allergiker belastet. Dies gefährdet den urbanen Raum und erfordert eine klimagerechte Stadt- und Regionalplanung, etwa durch verbesserte Warnsysteme und eine noch stärkere Begrünung. Zunehmende Unwetteraktivitäten (Gewitter, Starkregen, Hagel und in Teilen Deutschlands auch Stürme) stellen Stadt und Land vor große Herausforderungen. Darüber hinaus wird sich durch den Klimawandel der Wasserhaushalt weiter verändern. Zum einen drohen verstärkte Niederschläge mit Hochwasser, zum anderen Dürreperioden, die die Grundwasserneubildung beeinträchtigen und die Wasserverkehrswege gefährden. Auch die Qualität der Acker- und Waldböden nimmt ab, etwa aufgrund von Vernässung oder Austrocknung. Eine verstärkte Bodenerosion wird die Menge an verfügbaren, produktiven Böden weiter reduzieren. Es ist anzunehmen, dass durch die in den Böden zu erwartenden Prozesse zahlreiche Rückkoppelungseffekte stattfinden, die ihrerseits das Klima beeinflussen.

Weiterlesen beim GERICS

Nun wissen wir aber auch, dass man bei Dingen die kostenlos sind stets vorsichtig sein sollte. Wir wollen daher einige Stichproben zur Qualitätssicherung machen. Das Buch beginnt mit seitenlangen Auflistungen von Leitautoren, beteiligten Autoren und Reviewern. Offenbar ein Riesen-Projekt. Alle haben mitgemacht, bis auf Stefan Rahmstorf. Das Buch gliedert sich in vier große Teile:

I. Globale Klimaprojektionen und regionale Projektionen für Deutschland und Europa

II. Klimawandel in Deutschland: regionale Besonderheiten und Extreme

III. Auswirkungen des Klimawandels in Deutschland

IV. Übergreifende Risiken und Unsicherheiten

Teil I über Klimamodelle (hoffentlich mit guter paläoklimatologischer Kalibrierung), Teil II zum Extremwetter, Teile III und IV mit vermuteten Auswirkungen. Auf Seite 8 wird die große Spanne der CO2-Klimasensitivität genannt, die sich in den letzten knapp 30 Jahren nicht verändert hat. Umso kurioser dann diese Aussage ein paar Zeilen weiter:

Wie sehr sich die Erde tatsächlich erwärmt, wird von den zukünftigen Treibhausgasemissionen abhängen – das zeigen die Projektionen für verschiedene Zukunftsszenarien

Völlig verdrängt: Die Szenarien hängen mindestens genauso stark von der wahren CO2-Klimasensitivität ab. Hofentlich bemerkt es niemand, hatte man sich wohl gedacht. Auf Seite 12 dann ein Vergleich der realen und modellierten Temperatur für die Erwärmungsphase seit der Kleinen Eiszeit. Passt genau. Der Beweis für die Gültigkeit der Modelle. Trommelwirbel. Aber warum wird eigentlich nur dieser kurze Zeitraum gezeigt, weshalb nicht die letzten 1000 Jahren, bis zur Mittelalterlichen Wärmephase? Antwort: Die Modelle können sie nicht reproduzieren. Steht übrigens auch im 5. IPCC-Bericht drin, nicht aber in „Klimawandel in Deutschland“. Das ist nicht gut.

Hellhörig geworden, führen wir eine automatische Suche über den Gesamttext nach dem Begriff „Mittelalter“ durch. Das unbequeme Thema wird die riesige Wissenschaftler-Gruppe doch nicht etwa ausgespart haben? Das bittere Ergebnis: Im gesamten Buch findet sich keine Silbe zu diesem wichtigen natürlichen Klimaphänomen, dessen Vergleich mit der heutigen Warmphase von großer Wichtigkeit ist. Hat dies wirklich keiner der zig Reviewer bemerkt? Wer hat entschieden, dass das Paläoklima der letzten 1.000 oder 10.000 Jahre in diesem Buch nicht vorkommen darf?

Im Prinzip ist das Buch damit bereits durch die Qualitätsprüfung gefallen. Trotzdem wollen wir einen kurzen Blick in das Extremwetterkapitel werfen. Den Abschnitt „Hitzewellen“ sparen wir uns. Wieder geht es nur um die Zeit der Wiedererwärmung seit Ende der Kleinen Eiszeit. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen, treten sozusagen Abiturienten gegen Erstklässler an. Wie steht es mit den Hitzewellen während der letzten Wärmephase vor 1000 Jahren? Dies wäre ein aussagekräftiger Vergleich.

Wir wollen uns daher lieber mit den Niederschlägen beschäftigen (ab S. 58):

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass bereits Änderungen in der Häufigkeit und Intensität der Starkniederschläge beobachtet werden können. Allerdings sind die regionalen und saisonalen Variationen erheblich. In vielen Regionen haben im Winter Anzahl und Intensität der Starkniederschlagsereignisse zugenommen, wobei diese Änderungen meist statistisch signifikant sind. Bei den sommerlichen Starkniederschlägen dagegen ist das Bild uneinheitlich, aber mit Tendenz zu einer leichten Verringerung der Summen.

Das liest sich doch schon ausgewogener. Hier etwas Interessantes zum Hagel:

Mögliche Änderungen der Hagelwahrscheinlichkeit in der Zukunft lassen sich ebenfalls nur indirekt über geeignete proxy-Daten quantifizieren. Nach Sander (2011) könnten in Europa schwere Gewitter in der fernen Zukunft (2079–2100 gegenüber 1979–2000) seltener auftreten, da den Untersuchungen zufolge die Häufigkeit von Inversionen, bei denen die Temperatur mit der Höhe ansteigt, in den bodennahen Luftschichten zunehmen wird.

Auch das Kapitel über Stürme ist gut gemacht:

Die Betrachtung eines weitaus länger zurückreichenden Zeitraums in den Stationsmessungen weist allerdings auch darauf hin, dass diese Schwankungen innerhalb der natürlichen Variabilität des Sturmklimas liegen.

Lesenswert auch das Meeresspiegelkapitel (Auszug aus S. 80):

Im Hinblick auf Küstenschutz und weitere Anpassungsmaßnahmen an mögliche Folgen des Klimawandels ist der relative Meeresspiegelanstieg von Bedeutung, also die Änderungen des Wasserstands in Relation zur Küste. Deshalb wird nachfolgend der relative Meeresspiegelanstieg in der Ostsee betrachtet. Die langfristigen Änderungen des mittleren Wasserstands in der Ostsee sind ein besonders gutes Beispiel für das Zusammenwirken mariner und kontinentaler Bewegungskomponenten. Im gesamten nördlichen Teil der Ostsee, insbesondere in Skandinavien, übertrifft die Hebung der Landmassen seit der letzten Eiszeit (isostatischer Ausgleich) den Meeresspiegelanstieg relativ zum Erdmittelpunkt erheblich. Dies führt dazu, dass der mittlere Wasserstand relativ zum Messpegel an Land um derzeit etwa 8 mm pro Jahr sinkt (Liebsch 1997). Im südlichen Teil der Ostsee – und somit auch an der deutschen Ostseeküste – addieren sich die isostatische Senkung der Landmassen und der Meeresspiegelanstieg relativ zum Erdmittelpunkt, wodurch der Meeresspiegel relativ zum Messpegel an Land derzeit ansteigt (. Abb. 9.1, Lampe und Meier 2003). Während dekadische Schwankungen des Meeresspiegels in der zentralen und östlichen Ostsee gut durch Luftdruckschwankungen wie die nordatlantische Oszillation (NAO) erklärt werden können, weisen dekadische Schwankungen des mittleren Meeresspiegels in der südwestlichen Ostsee stärkere Korrelationen mit der durchschnittlichen Niederschlagsmenge in der Region auf (Hünicke 2010).

Dazu gibt es Graphiken, die für die Ostsee einen sehr unaufgeregten Meeresspiegelanstieg um 1,2 mm pro Jahr anzeigt:

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: Klimawandel in Deutschland

 

Fazit: Im Bereich der Klimaprognosen umschifft das Buch bewusst den unbequemen Bereich des Paläoklimas der letzten 1000 Jahre. Das zeugt von mangelnder Souveränität, durch Verschweigen von Problemen tut man den Klimawissenschaften keinen Gefallen. Die Implikation ist überdeutlich: Die Temperaturprognosen bewegen sich auf dünnem Eis. Ohne erfolgreichen Modellierungshindcast über das letzte Jahrtausend sind die Vorwärtsmodellierungen nicht robust, können nicht ernst genommen werden.

Zum Glück gibt es aber im Extremwetter-Kapitel einige Autoren, die realistischer und ausgewogener gearbeitet haben. Diese Abschnitte machen einen guten Eindruck und haben Substanz. Schade nur, dass sie sich das Buch mit dem schwachen Temperaturkapitel teilen müssen.

Abschließend noch eine Anekdote: Im Buch enthalten ist auch ein Kapitel mit dem Titel ‚Gesundheitliche Auswirkungen‘. Dort heißt es, dass das Hautkrebsrisiko mit dem Klimawandel zunimmt. Warum? Weil sich die Leute eher im Freien aufhalten wenn es wärmer wird und dann kommt die Sonne und schlägt unbarmherzig zu. Zuviel frische Luft ist also auch ungesund. So müssen wir unseren Computerkids dankbar sein, wenn sie wieder mal einen ganzen Tag am Rechner mit Ballerspielen verbracht haben, die Haut dankt es ihnen.

Allerdings: In Schleswig Holstein ist die Temperatur in der verdächtigen Jahreszeit (Frühjahr) ca. 0,7°C niedriger als in Baden-Würtenberg, aber in Schleswig Holstein gibt es die meisten Hautkrebsfälle! Die schöne Klimakrebstheorie passt also vorne und hinten nicht. Genau deshalb, weil die Hauptursache für Hautkrebs Solarien sind. Wenn also die Leute weniger ins Solarium gehen weil es eher warm wird, dann reduziert sich die Hautkrebsrate!

 

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