Alfred-Wegener-Institut: Ostantarktischer Eisschild ist stabil und wächst sogar leicht an

Die Geschichte passte gut ins Sommerloch des letzten Jahres. Am 20. August 2014 meldete das Alfred-Wegener-Institut (AWI) per Pressemitteilung, dass es den polaren Eiskappen gar nicht gut ginge:

Rekordrückgang der Eisschilde: Wissenschaftler kartieren erstmals die Höhenveränderungen der Gletscher auf Grönland und in der Antarktis
Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), haben mit Hilfe des ESA-Satelliten CryoSat-2 erstmals flächendeckende Karten der Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis erstellt und dabei nachweisen können, dass die Eispanzer beider Regionen derzeit in einem Rekordtempo schrumpfen. Insgesamt verlieren die Eisschilde pro Jahr rund 500 Kubikkilometer Eis. Diese Menge entspricht einer Eisschicht, die rund 600 Meter dick ist und sich über das gesamte Stadtgebiet Hamburgs erstreckt. Die Karten und Ergebnisse dieser Studie erscheinen heute in The Cryosphere, dem frei zugänglichen Onlinemagazin der European Geoscience Union (EGU).

Unklar bleibt zunächst, um welchen Zeitraum es sich handelt. Das AWI hat die Information in der Mitte der Pressemitteilung gut versteckt: Es dreht sich um die letzten 3 Jahre, eine Zeitspanne die weit von einer klimatisch relevanten 30-jährigen Betrachtungen entfernt ist. Das AWI schreibt:

[…] dokumentierten die Forscher auf Basis weiterer CryoSat-2-Daten, wie sich die Dicke der Eisschilde im Zeitraum der Jahre 2011 bis 2014 verändert hat. […] Für die Darstellung der Höhenveränderungen hatte das AWI-Wissenschaftlerteam über 200 Millionen SIRAL-Messpunkte für die Antarktis und rund 14,3 Millionen Messpunkte für Grönland ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass allein der grönländische Eispanzer pro Jahr rund 375 Kubikkilometer Eis einbüßt. „Wenn wir diese aktuellen Daten mit jenen des ICESat-Satelliten aus dem Jahr 2009 vergleichen, hat sich der Massenverlust des grönländischen Eisschildes seit jener Zeit verdoppelt. Die Verlustrate des Westantarktischen Eisschildes ist im gleichen Zeitraum um das Dreifache gestiegen. Rechnet man beides zusammen, nimmt das Volumen beider Eisschilde derzeit um 500 Kubikkilometern pro Jahr ab. Das ist die höchste Verlustrate seit Beginn der Satelliten-Höhenmessungen vor rund 20 Jahren“, sagt Prof. Dr. Angelika Humbert, Glaziologin am Alfred-Wegener-Institut und Co-Autorin der aktuellen Studie. Die schnellsten Höhenveränderungen beobachten die Wissenschaftler am westgrönländischen Jakobshavn Isbræ-Gletscher sowie am Pine-Island-Gletscher in der Westantarktis. Über den Jakobshavn Isbræ wissen Forscher seit Februar 2014, dass er mit einer Spitzengeschwindigkeit von bis zu 46 Metern am Tag ins Meer fliesst. Der Pine-Island-Gletscher machte u.a. im Juli 2013 Schlagzeilen. Damals berichteten AWI-Forscher, dass ein Tafeleisberg so groß wie die Fläche Hamburgs von seiner Schelfeisspitze abgebrochen war (Link auf AWI-Pressemitteilung vom 9. Juli 2013). Aber: Während die Gletscher der Westantarktis und auf der Antarktischen Halbinsel schrumpfen, wächst der Eispanzer der Ostantarktis – allerdings in einem so geringen Maße, dass die Zuwächse die Verluste auf der anderen Seite des Kontinents nicht ausgleichen können.

Der echte Knaller steht erst im letzten Satz der Meldung. Dort räumt das AWI ein, dass die ostantarktische Eiskappe absolut stabil ist und sogar leicht anwächst. Zur Orientierung: Das ostantarktische Eis besitzt neun Mal mehr Volumen als das westantarktische. Der Titel der Pressemitteilung hätte daher auch lauten können: Ostantarktisches Eis ist stabil und wächst sogar leicht an.

Das Problem mit all diesen satellitengestützten Eisvolumenmessungen ist, dass die jeweiligen Satelliten nur wenige Jahre lang im Einsatz sind, bevor sie dann inaktiv werden. Die Vergleichbarkeit der Daten verschiedener Satelliten ist eingeschränkt. In der vorliegenden Studie wird ein CryoSat-Datensatz von 2011-2014 mit einem ICESat-Datensatz von 2003-2009 verglichen. Dabei wird die Eisvolumenermittlung mit unterschiedlicher Methodik durchgeführt. Ist das Ergebnis des Vergleichs zuverlässig?

Ein weiteres Problem ist die kurze betrachtete Zeitspanne von lediglich 3 Jahren. Die natürliche Variabilität spielt in diesen Zeiträumen eine bedeutende Rolle (siehe auch unseren Blogartikel „Universität Gießen: Natürliche Temperaturschwankungen in der Antarktis unterschätzt“). Unter anderem unterliegt das klimatische Geschehen in der Westantarktis der Antarktischen Oszillation, worauf Klaus-Eckart Puls auf EIKE eindrücklich hinwies. Der dort beheimatete und laut AWI besonders stark schrumpfende Pine-Island-Gletscher hatte bereits in vorindustrieller Zeit intensive Abschmelzphasen (siehe unseren Blogartikel „Hilfe, der westantarktische Pine-Island-Gletscher schmilzt unaufhaltsam! British Antarctic Survey gibt Entwarnung: In den letzten 300 Jahren hat es in der Gletscherregion sogar noch intensivere Erwärmungsepisoden gegeben als heute“). Wie kann das AWI diese heftigen natürlichen Schwankungen am Pine-Island-Gletscher von anthropogenen Trends unterscheiden?

Die Klimamodelle haben sich mittlerweile vom antarktischen Schmelzalarm abgewandt. Sie sehen für die kommenden Jahrzehnte einen bedeutenden Eiszuwachs auf den Gesamt-Kontinent zukommen (siehe “Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: Antarktisches Inlandeis wird im Zuge der Erderwärmung anwachsen”).

 

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