10.000 Jahre Nordatlantische Oszillation

Pressemitteilung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz vom 2. Februar 2017:

Stalagmiten liefern Paläo-Klimadaten

Stalagmiten aus Tropfsteinhöhlen zeigen veränderten Einfluss der Nordatlantischen Oszillation auf Wetterregimes in Mitteleuropa und Marokko

Die Nordatlantische Oszillation (NAO) ist der vorherrschende Luftdruckmodus über dem Nordatlantik, der vor allem das Winterklima in Europa wesentlich beeinflusst. Je nach Ausprägung der NAO kann es zu milden oder sehr kalten Wintern, aber auch zu starken Stürmen kommen. Geowissenschaftler der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) versuchen, den Verlauf der NAO während der letzten 10.000 Jahre zu rekonstruieren, um damit auch künftige Entwicklungen abzuschätzen. Sie nutzen dazu Tropfsteine aus unterirdischen Höhlen als Klimaarchiv und entwickeln Methoden, um die gespeicherten Klimaindikatoren möglichst genau auszuwerten. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Nordatlantische Oszillation auf ein Abschmelzen der Eisschilde in der Zukunft wahrscheinlich sehr sensibel reagieren würde – mit den entsprechenden Auswirkungen auf das Klima und ökologischen und ökonomischen Folgen.

Dr. Jasper Wassenburg arbeitet hauptsächlich mit Stalagmiten aus Höhlen des Mittleren Atlas, einer Gebirgskette in Nordwest-Marokko. Stalagmiten sind Tropfsteine, die vom Boden nach oben wachsen. Die Kalkablagerungen bestehen hauptsächlich aus Kalzit, teilweise auch aus dem verwandten Kalziumkarbonat Aragonit. „Aragonit lässt sich, wenn er gut erhalten ist, hervorragend datieren. Daher bevorzugen wir Stalagmiten aus Aragonit gegenüber solchen aus Kalzit“, erklärt Wassenburg, Mitarbeiter in der Forschungsgruppe von Prof. Dr. Denis Scholz am Institut für Geowissenschaften der JGU.

Die Einlagerung von chemischen Elementen in Speläotheme, so der wissenschaftliche Überbegriff für die sekundären Mineralablagerungen in Höhlen, steht häufig im Zusammenhang mit Umweltveränderungen. Die Elemente werden als Proxies bezeichnet, also als Klima-Stellvertreter. In einer Studie mit sieben Tropfstein-Proben aus Marokko, Indien, Frankreich, Spanien und der Hüttenbläserschachthöhle im Sauerland hat Wassenburg erstmals detailliert untersucht, in welcher Konzentration Spurenelemente in Aragonit eingebaut werden. „So konnten wir in dieser Untersuchung zeigen, dass die Konzentration von Uran in Aragonit-Stalagmiten als sehr effektiver Maßstab für Paläo-Niederschläge dienen kann“, so Wassenburg. Stalagmiten können also beispielsweise verraten, wie stark es vor 200.000 Jahren geregnet hat.

Rekonstruktion der Nordatlantischen Oszillation bis zum Beginn der Warmzeit

Uran- und Strontiumkonzentrationen sowie Sauerstoffisotopenverhältnisse dienten auch als Niederschlagssignale in einer weiteren Studie, die sich mit der Nordatlantischen Oszillation beschäftigt. Der NAO-Index gibt Unterschiede im Luftdruck zwischen dem Islandtief im Norden und dem Azorenhoch im Süden wieder. Ein Phänomen ist dabei besonders interessant: Bringt die NAO für Europa trockenes Wetter, dann wird es in Marokko feucht – und umgekehrt. Besonders der nordwestliche Teil Marokkos reagiert äußerst sensitiv auf Veränderungen des NAO-Zustands. Wassenburgs Untersuchungsproben stammen aus einer relativ kleinen Höhle mit Dolomit als Wirtsgestein. Die „Grotte de Piste“ liegt im Atlasgebirge auf etwa 1.250 Meter Höhe, ist 70 bis 80 Meter lang und 15 bis 20 Meter hoch.

Die Untersuchungsergebnisse der nordwestmarokkanischen Tropfsteinhöhle wurden mit Niederschlagsrekonstruktionen anhand von Höhlensintern aus der Bunkerhöhle, ebenfalls im Sauerland gelegen, verglichen. Dabei konnten die Klimaforscher erstmals die Nordatlantische Oszillation über 11.000 Jahre zurückverfolgen, also bis zum Beginn der jetzigen Warmzeit. Der längste Rückblick ging bisher nur über 5.200 Jahre. „Im frühen Holozän vor 11.000 Jahren sehen wir erstaunlicherweise eine ganz andere Situation als heute. Die Wetterlagen in Europa und Marokko verliefen parallel, also feuchtes Wetter in Europa bedeutete auch stärkere Niederschläge in Marokko“, so Wassenburg. Diese „positive Korrelation“ muss sich im Lauf der Jahrtausende vom frühen bis zum mittleren Holozän verändert haben.

Die Forscher vermuten einen Zusammenhang mit dem starken Rückgang des Schmelzwasserzuflusses von dem Laurentischen Eisschild, der bis zum Beginn der Warmzeit einen großen Teil Nordamerikas bedeckte. „Das Muster der Nordatlantischen Oszillation ist nicht so stabil, wie wir gedacht haben“, erklärt Prof. Dr. Denis Scholz zu den Ergebnissen mit einem Hinweis darauf, dass ein Abschmelzen des Grönlandeises wahrscheinlich nicht ohne Einfluss auf die NAO bliebe und damit auch nicht auf die Atmosphäre, die Ozeane und die biologischen Prozesse einschließlich Landwirtschaft und Fischerei. Die Gruppe wird in weiteren Untersuchungen rekonstruieren, wie sich die NAO in den letzten 10.000 Jahren verändert hat.

 

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